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Nachhaltig Reisen: Wie der Nachtzug eine Renaissance erlebt

Susanne Stock

Susanne Stock

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Ein angenehmes Schaukeln, das sanfte Rattern der Schienen und das Gefühl von Abenteuer in der Luft – das Reisen im Nachtzug erlebt ein bemerkenswertes Comeback. Nach Jahren des Vergessens ist diese nahezu nostalgische Art des Unterwegsseins wieder im Trend und erfreut sich einer wachsenden Beliebtheit bei Reisenden auf der ganzen Welt – nicht nur bei Menschen, die nachhaltig reisen möchten. Woher kommt auf einmal dieser Trend? Und wie können Bahnfahrende ihn nutzen? Wir nehmen Sie mit auf eine Reise durch die Geschichte und beleuchten die Hintergründe der Renaissance.

Nachtzüge haben in Europa eine lange Tradition. 1872 erhielt die Compagnie Internationale des Wagon-Lits (CIWL) die erste Konzession für die damals neuartige Kombination aus Schlaf-, Speise- und Gepäckwagen und setzte nur zehn Jahre später den ersten Nachzug ein. Die erste Fahrt führte von Paris nach Wien. Schon im folgenden Jahr startete der legendäre Orientexpress seine Touren zwischen Paris und Konstantinopel. In den folgenden Jahrzehnten entstand ein dichtes Netzwerk von Nachtzugverbindungen quer durch Europa – allerdings lange Zeit im Luxussegment. Erst in den 1950er Jahren wurde der Nachtzug zum Massentransportmittel und befriedigte die wachsende Reiselust der Menschen.

Doch bald bekam die Reise über Nacht Konkurrenz. Das Flugzeug setzte sich mehr und mehr durch. Zeitgleich nahm der normale Zugverkehr an Geschwindigkeit zu. Der steigende Fokus auf Schnelligkeit und Effizienz führte dazu, dass viele Nachtzugverbindungen an Attraktivität verloren und schlichtweg nicht mehr rentabel waren. Die Deutsche Bahn beispielsweise stellte ihre City Night Line 2016 ein. Seither verkehren zwar nächtliche ICE- und IC-Züge; sie haben aber keine Schlafwagen mehr.

ÖBB ist der größte Betreiber von Nachtzügen in Europa

Stattdessen bedienen die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) mit ihrem Nightjet ein umfangreiches Schlafwagennetz. ÖBB ist somit der größte Betreiber von Nachtzügen in Europa und bietet nicht nur eine bequeme Verbindung in die Hauptstadt Frankreichs, sondern ermöglicht auch Reisen von Wien nach Bregenz, Zürich, Berlin, Brüssel und Hamburg. Im Süden erwarten einen Ziele wie Venedig, Rom, Mailand und die Adriaküste. In Kooperation mit anderen europäischen Bahnunternehmen bedient der EuroNight verschiedene Städte in Polen, Ungarn, Schweden und Tschechien. Mit dem schwedischen Anbieter Snälltåget und dem niederländischen Start-up European Sleeper etablieren sich auch neue Player am Markt.  

© ÖBB/Harald Eisenberger

Back-on-track.eu schätzt, dass Nachtzüge viele der innereuropäischen Flüge bis zu einer Entfernung von 3.000 km ersetzen könnten. Die Nachtzugkarte der Initiative verdeutlicht die Vielzahl der Destinationen.

Werfen wir noch einen Blick über Europa hinaus: Auch auf anderen Kontinenten sind Nachtzüge verbreitet. Der berühmteste ist sicherlich die Transsibirische Eisenbahn von Moskau nach Peking. Ob Indien, Thailand, Vietnam oder Sri Lanka – das Reisen im Liegewagen ist hier sehr verbreitet und bieten sich sowohl wegen der langen Strecken als auch der spektakulären Aussichten an. Aus Japan ist allerdings bekannt, dass einige Nachtzugverbindungen dem Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen zum Opfer gefallen sind – das Phänomen, das wir in Europa sehen, findet also auch hier statt. In Nordamerika steht Amtrak für lange Trips mit Schlafwagen.

Einmal um die ganze Welt: Der Architekt und Kartograf Jug Cerovic hat weltweite Nachtzug-Routen zusammengestellt.

Entspannt ans Ziel gelangen: Entschleunigung und Effizienz vereint

In der heutigen hektischen Welt sehnen sich die Menschen nach Entschleunigung und Ruhe. Das Reisen im Nachtzug ermöglicht genau das. Statt sich mit überfüllten Flughäfen, langen Sicherheitskontrollen und engen Sitzen auseinandersetzen zu müssen, können Reisende in der Nacht ihre Augen schließen und den Rhythmus der Schienen spüren. Es ist eine Zeit des Abschaltens, des Zurücklehnen und des Genießens der langsamen Reise.

Hinzu kommt ein weiterer Faktor: Im Gegensatz zu Flughäfen liegen die Bahnhöfe zumeist mitten in der Stadt. Reisende sparen also den umständlichen und häufig teuren Weg zu ihrer eigentlichen Destination – und noch dazu das Hotelzimmer. Denn anstatt teure Hotelübernachtungen zu buchen, wachen Passagiere am nächsten Morgen an ihrem Zielort ausgeschlafen auf. Das spart Geld und wertvolle Zeit, wenn die Reisezeit quasi verschlafen wird. Dieser Effizienzgewinn ist besonders attraktiv für Geschäftsreisende, die ihre Zeit optimal nutzen möchten.

Nachhaltig Reisen: Nachtzüge als umweltfreundliche Alternative zu Flugzeugen und Autos

Ein weiterer Grund für die Wiederbelebung des Reisens im Nachtzug ist das wachsende Umweltbewusstsein. Viele Menschen lehnen mittlerweile das Fliegen ab, um umweltfreundlicher von A nach B zu kommen. Nachtzüge verursachen im Vergleich zu Flügen oder Autofahrten deutlich weniger CO2-Emissionen. Im Zeitalter des Klimawandels gewinnt die umweltbewusste Entscheidung für Nachtzüge an Attraktivität und ermöglicht es den Reisenden, ihren ökologischen Fußabdruck zu reduzieren, ohne auf das Vergnügen des Reisens verzichten zu müssen. Tatsächlich sind die Auswirkungen massiv:

Eine Reise mit dem Nachtzug verursacht etwa 30 Mal weniger Emissionen als eine Flugreise.

Bahn statt Flug: Die Wechselbereitschaft ist vorhanden

Das Interesse am nachhaltigen Reisen im Nachtzug ist hoch. Eine repräsentative Umfrage von YouGov im Auftrag der Umweltorganisation Germanwatch belegt: 69 Prozent der Befragten können sich vorstellen, Nachtzugangebote zu nutzen.

Dafür würden die Passagiere auch Reisezeiten von mehr als sieben Stunden in Kauf nehmen. Voraussetzungen dafür ist aber ein vernünftiger Preis. Besonders aufgeschlossen sind dafür Menschen in Spanien, Polen und Frankreich. Zu den gesamten Umfrageergebnissen gelangen Sie hier.

Kosten, Geschwindigkeit und Rentabilität: Die Herausforderungen des nachhaltigen Reisens

Vernünftige Preise – der Ausdruck hat tatsächlich seine Berechtigung, denn das nachhaltige Reisen im Schlafwagen hat leider durchaus seinen Preis. Die Wettbewerbsbedingungen für Züge, Autos und Flugzeuge sind dabei sehr unterschiedlich. Kerosin ist beispielsweise von der Energiesteuer befreit; für internationale Flüge fällt keine Mehrwertsteuer an. Diesel sowie privat genutzte Dienstwagen genießen Steuervergünstigungen. 

Bei der Bahn hingegen fallen Stromsteuer, Ökosteuer und EEG-Umlage an. Ein Zug muss außerdem für jeden Kilometer einen Trassenpreis zahlen; auch jeder Halt kostet extra. Das ist beim Fernbus anders; hier fällt in vielen Ländern noch nicht einmal Maut an.Greenpeace hat im Juli 2023 eine Analyse erarbeitet, die die Kosten von Flug- und Bahnreisen innerhalb Europas vergleicht. Das Ergebnis: Nur auf 23 der 112 analysierten europäischen Strecken ist das Zugfahren günstiger als das Flugzeug. Durchschnittlich müssen Bahnfahrer sogar rund 50 Prozent mehr zahlen, insbesondere, wenn sie spontan reisen wollen und keinen Sparpreis mehr ergattern. Die Preise werden dann von Billig-Airlines, die knapp 80 Prozent der untersuchten europäischen Strecken abdecken, unterboten.

Marissa Reiserer ist die Verkehrsexpertin von Greenpeace und bezeichnet die Situation als „ Bruchlandung für viele gute Vorsätze und den Klimaschutz.“ Verbraucher:innen sollten sich darauf verlassen können, dass die Bahn immer das günstigste Verkehrsmittel ist.

Ruf nach Steuergleichheit wird laut

Zur Lösung dieses Ungleichgewichts fordert Greenpeace eine Besteuerung des Luftverkehrs in Form einer Kerosinsteuer von 50 Cent pro Liter. Die Einnahmen in Höhe von 46,2 Mrd. Euro können dann zum Ausbau einer zuverlässigen Bahninfrastruktur und Bereitstellung von bezahlbaren Bahntickets in Europa eingesetzt werden.

Auch der Verkehrsclub Deutschland (VCD) bemängelt, dass es keinen fairen Wettbewerb zwischen Flugzeug und Nachtzug gibt. Alexander Kaas Elias, zuständig für Bahn und ÖPNV fordert: „Internationale Nachtzüge sollten wie die Luftfahrt von der Mehrwertsteuer befreit werden.“

Diese Ansicht teilen Back-on-Track Europe und Transport & Environment in ihrem aktuellen Briefing. Durch den Wegfall der Mehrwertsteuer und eine Senkung der Trassenpreise könnten die Preise für Bahntickets um 3 bis 48 Prozent günstiger werden.  Zuganbieter zahlen für die Nutzung der Gleise. Bei Nachtzügen können diese Gebühren derzeit etwa 20 bis 30 Prozent des Preises ausmachen – das schlägt natürlich zu Buche.

Auch die Bevölkerung sieht den hohen Anteil an Flugreisen im Verkehrsmix kritisch: Gemäß einer Studie der Europäischen Investitionsbank sprechen sich 72 % der Europäer für eine Besteuerung des Flugverkehrs zur Bekämpfung des Klimawandels aus. 62 % würden sogar ein Verbot von Kurzstreckenflügen befürworten.

Besondere Herausforderungen: Zwischen Schnelligkeit und optimaler Nutzung

Weitere Herausforderungen sind die Geschwindigkeit und die Rentabilität. Naturgemäß passen in Schlaf- oder Liegewagen weniger Passagiere als in einen Zug, der über Abteile und Großraumwagen verfügt. Die Spezialwagen sind darüber hinaus auch wirklich nur zu diesem Zweck zu nutzen – der Einsatz eines Schlafwagens ergibt tagsüber nun einmal keinen Sinn. Dadurch verbringen sie relativ viel Zeit auf dem sprichwörtlichen Abstellgleis.

Außerdem sind moderne Nachtzüge zwar theoretisch auf hohe Geschwindigkeiten ausgelegt – in der Praxis kommt es dennoch nicht dazu, denn die Fahrten müssen auf den deutlich langsameren Güterverkehr abgestimmt werden. Die Folge: Verlängerte Reisezeiten.

Wenn es dieses Problem nicht mehr gäbe, ergäben sich völlig neue Dimensionen: Eine Studie von DB Mobility Networks und dem Internationalen Eisenbahnverband (UIC)  hat ermittelt, dass eine Fahrt mit bis zu 300 km/h von Madrid nach London in 12 Stunden möglich wäre.

Wie will die EU das Bahnreisen in Europa harmonisieren? Dazu erfahren Sie mehr in diesem Artikel.