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Das Comeback der Eisenbahn in Nordamerika: Wie die USA die Schiene neu entdecken

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Susanne Stock

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In den USA spielte die Eisenbahn im Personenverkehr auf längeren Strecken viele Jahre lang so gut wie keine Rolle – und das, obwohl die Vereinigten Staaten sowohl über das längste Streckennetz als auch über das größte Eisenbahnunternehmen der Welt verfügen. Doch das könnte sich jetzt ändern. Ein beispielloses Infrastrukturprojekt und das Engagement privater Bahnunternehmen kurbeln das Comeback der Eisenbahn in Nordamerika an. Ein Blick in die Vergangenheit – und in die Zukunft.

Woran denken Sie, wenn Sie an Mobilität in Nordamerika denken? Lassen Sie uns raten. An endlose Highways mit gigantischen Trucks. An innerstädtische Staus mit Yellow Cabs und Straßenkreuzern wie Buicks oder Chevrolets. An riesige Flughäfen – in den USA wird die Hälfte des Weltflugverkehrs abgewickelt. Der Hartsfield-Jackson Atlanta Airport hat seit Jahren das höchste Fahrgastaufkommen der Welt. Oder aber auch an die legendären Greyhound-Busse, die übrigens 2021 vom deutschen Mobilitätsanbieter FlixMobility übernommen wurden.

Nur die Eisenbahn – die kommt einem erst deutlich später in den Sinn. Warum eigentlich? In Nordamerika leben mehr als eine halbe Milliarde Menschen in 23 Staaten. Die Dimensionen und damit auch die Entfernungen sind weit. Und dennoch ist es eine Nation der Autofahrer. Dabei verfügt die Eisenbahn in den USA über eine ähnlich lange Geschichte wie in Europa.

Die Anfänge der Eisenbahn in Nordamerika

Die erste Eisenbahnstrecke in den USA wurde 1826 in Quincy (Massachusetts) eröffnet, nur ein Jahr nach der weltweit ersten, 40 Kilometer langen Strecke zwischen den englischen Städten Stockton und Darlington. Vergleichsweise bald, 1869, wurde die erste transkontinentale Eisenbahnverbindung Amerikas vollendet.

Damit begann eine Ära eines unvergleichlichen Wirtschaftswachstums. Die Eisenbahn revolutionierte den Transport von Gütern und Personen, schnell und effizient, und trug so massiv zur Beschleunigung der industriellen Revolution in Nordamerika bei. Unternehmen wie die bis heute existente Union Pacific Railroad und die Central Pacific Railroad, die in den Bau und Betrieb von Eisenbahnen investierten, wurden zu wirtschaftlichen Giganten dieser Zeit.

Damit gingen auch tiefgreifende soziale Auswirkungen einher. Die Eisenbahn ermöglichte die Migration von Menschen und die Expansion in neue Gebiete. Städte, die an wichtigen Eisenbahnknotenpunkten lagen, wie Chicago und Denver, erlebten ein explosives Wachstum.

Herausforderungen im 20. Jahrhundert: Amtrak bündelt den Personenverkehr

Doch mit dem Aufkommen des Automobils in den 1930er-Jahren sank die Nachfrage nach Zugreisen. Während des Zweiten Weltkriegs wurden Eisenbahnen noch zur Truppen- und Materialbeförderung genutzt. In den 1950er Jahren jedoch wurde das Reisen mit dem Flugzeug immer beliebter. Parallel dazu entstanden vermehrt Autobahnen. Der Personenzugverkehr verlor immer mehr an Bedeutung. Und das, obwohl die USA 1950 über ein Schienennetz von 397.232 Meilen verfügte, denen nur 224.511 Meilen Straße gegenüberstanden.

1970 wurden die Weichen neu gestellt. Der Fracht- und der Personenverkehr wurden voneinander getrennt. Dafür erfolgte die Gründung der National Railroad Passenger Corporation – besser bekannt als Amtrak. Die halbstaatliche Organisation übernahm nach und nach alle Passagierzugverbindungen, so dass andere Bahnlinien sich auf den deutlich lukrativeren Frachtverkehr konzentrieren konnten.

Zunächst lief es gut für Amtrak, denn bald darauf nahm der Zugreiseverkehr aufgrund der Ölpreiskrise wieder zu. Doch danach stieg Amerika wieder auf das Auto und das Flugzeug um.  Während 1910 Züge noch 95 Prozent des Passagieraufkommens zwischen Städten bewältigten, lag der Anteil 1983 unter zehn Prozent.Das defizitäre Geschäft für Amtrak wandelte sich dann jedoch wieder in den 2000er Jahren. Zwischen 2003 und 2019 sind die Fahrgastzahlen um 45 % auf 32,3 Millionen gestiegen. Im Geschäftsjahr 2023 nähert sich die Anzahl der Passagiere mit 28,3 Millionen wieder dem Vor-Corona-Niveau.

Für den Erfolg dürfte allerdings vor allem eine Strecke verantwortlich sein:

Von Boston nach Washington: Der Nordost-Korridor (Northeast Corridor/NEC)

Der Nordost-Korridor ist einer von elf und zugleich der am stärksten befahrene Eisenbahnkorridore in den Vereinigten Staaten. Er verbindet auf 734 Kilometern die fünf großen Metropolregionen des Nordostens: Boston, New York, Philadelphia, Baltimore und Washington

Sagenhafte 800.000 Passagiere sind täglich mit den Bahnen auf dem Nordost-Korridor unterwegs. Die Züge befördern fünfmal mehr Fahrgäste als alle Flüge zwischen Washington und New York. Mit dem Acela dauert die Fahrt weniger als drei Stunden. Dabei fährt der Zug bis zu 240 km/h schnell.

Testlauf für den neuen Acela (Foto: Amtrak)

Unzureichendes Streckennetz und lange Wartezeiten

Ansonsten sind viele Regionen und große Städte vom Bahnnetz abgeschnitten. Viele Verbindungen fielen einer Streichung zum Opfer; Ballungsgebiete wie Las Vegas, Phoenix und Nashville haben überhaupt keine Zuganbindung. Eine Ursache dafür: Seit 2007 subventionierte die US-Regierung neue Bahnstrecken nur noch, wenn sie mindestens 750 Meilen lang sind. Ein krasser Kontrast zum „Highway Trust“, im Rahmen dessen die Regierung 90 Prozent der Baukosten aller Autobahnen übernimmt.  

In Großstädten wie Houston, Atlanta und Cincinnati fahren Züge nur einmal täglich in jede Richtung, oft mitten in der Nacht und mit erheblicher Verspätung. Denn auch wenn gesetzlich die Personenzüge Vorrang haben, sieht die Realität anders aus. Die Amtrak-Züge erhalten ein Zeitfenster von einer Stunde für ihre Durchfahrt. Kommen sie später an, müssen sie den Güterzügen den Vortritt lassen. Das braucht Geduld: Güterzüge in den USA sind im Durchschnitt drei Kilometer lang und fahren rund 40 km/h.

Klicken Sie sich rein: Diese interaktive Karte zeigt die unterschiedlichen Passagierlinien in Nordamerika

Bipartisan Infrastructure Law (BIL): Historische Investition in die Infrastruktur

Doch all das soll sich nun ändern. Im November 2021 hat der US-Kongress ein historisches Programm zur Förderung der Infrastruktur beschlossen. Für den Infrastructure Investment and Jobs Act (IIJA), auch bekannt als Bipartisan Infrastructure Law (BIL), hatte Präsident Biden sich intensiv eingesetzt.

Biden ist nicht nur bekennender Eisenbahnfan, sondern treibt auch den Klimaschutz voran.

Die Gesamtsumme des BIL liegt bei rund 1,2 Billionen US-Dollar, wobei 550 Milliarden US-Dollar zusätzlich zu den regulär vom Kongress geplanten Ausgaben neu bewilligt wurden.

Für den Schienenverkehr sind rund 102 Milliarden US-Dollar vorgesehen, darunter 39 Milliarden für den öffentlichen Nahverkehr und 66 Milliarden für den Fernkehr.Nicht alle Investitionen werden für neue Verbindungen aufgewendet. Im November 2023 wurde verkündet, dass über 16 Milliarden Dollar in die Modernisierung der kritischen Infrastruktur entlang des bereits erwähnten Nordost-Korridors fließen.

Die Mittel für neue Bahnstrecken werden über das Programm Federal-State Partnership for Intercity Passenger Rail vergeben. Hier finden Sie einen Überblick über entsprechende Projekte.

Comeback der Eisenbahn in Nordamerika: Privates Personenzugunternehmen setzt neue Maßstäbe

Doch nicht nur Amtrak soll den Personenverkehr wieder nach vorn bringen. Mit Brightline hat sich nach über 100 Jahren wieder ein privates Bahnunternehmen in den Wettbewerb gewagt. Das Unternehmen ist über seine Muttergesellschaft Florida East Coast Industries (FECI) Teil des Portfolios der Investmentgesellschaft Fortress Investment Group LLC und setzt auf Anhieb neue Maßstäbe.

Der erste Coup: Im September 2023 absolvierte der erste der bunt lackierten ICEs seine Jungfernfahrt auf der rund 380 Kilometer langen Gesamtstrecke von Orlando nach Miami in Florida. Er kommt dabei auf eine Geschwindigkeit von bis zu 200 km/h. Teilstrecken waren bereits seit 2018 befahrbar.

Reguläre Stopps sind in West Palm Beach und Fort Lauderdale; je nach Verbindung hält der Zug auch in Boca Raton und Aventura. Die Verlängerung nach Tampa mit Halt in Disney World ist in Planung. Weiterhin könnte der Ausbau der Strecke bis nach Jacksonville führen. Somit werden die größten Touristenzentren Floridas mit einer einzigen Zugverbindung zu erreichen sein.

Die Zugehörigkeit zur FECI entpuppt sich hier als großer Vorteil: So wird ein Großteil der vorhandenen Strecke von der Muttergesellschaft genutzt. Nur zur Anbindung des Flughafens in Orlando mussten 64 Kilometer Schienen neu verlegt werden.

Die Züge bestehen aus zwei dieselelektrischen Loks und vier Großraumwagen. Sie stammen von Siemens Mobility in Sacramento.

Ein Zug der Brightline in Boca Raton (Foto: Brightline)

Brightline rechnet mit acht Millionen Passagieren jährlich auf der knapp 380 Kilometer langen Fahrt zwischen den größten Touristenzentren Floridas. Täglich verkehren laut Fahrplan 36 Züge. Die Nachfrage ist so hoch: In den ersten 70 Tagen nutzten rund 190.000 Passagiere das Angebot. Für Europäer mag eine solche schnelle und komfortable Zugverbindung normal sein. In den Vereinigten Staaten nimmt sie eine Leuchtturmfunktion ein. Der US-amerikanische Autor und Journalist Tom Zoellner schätzt in seinem Buch “Train”, dass etwa 98 Prozent der Amerikaner noch nie einen Fuß in einen Nahverkehrszug gesetzt hätten.

Brightline West: Von Las Vegas nach Los Angeles

Unter dem Motto „Too long to drive, too short too fly“ plant Brightline bereits weitere Strecken – in erster Linie als Verbindung von zwei oder mehr Städten, die zwischen 200 und 300 Kilometern voneinander entfernt sind. Für eine davon beginnt bereits der Bau: Zwischen Rancho Cucamonga vor den Toren von Las Vegas in Nevada und Los Angeles in Kalifornien entsteht mit Brightline West eine neue Hochgeschwindigkeitsstrecke mit Geschwindigkeiten von mehr als 320 km/h. Statt 4:15 Stunden mit dem Auto soll die Fahrt nur etwa 2:10 Stunden dauern. 

Die Kosten für das Projekt sollen bei 12 Milliarden Dollar liegen. Etwa ein Drittel der Kosten, nämlich 3,75 Milliarden Dollar, werden aus Subventionen gedeckt. Der Zug soll größtenteils entlang bestehender Highways verlaufen, um die Kosten für den Landerwerb gering zu halten. Die Strecke wird vollständig elektrisiert sein und die Treibhausgasemissionen um mehr als 400.000 Tonnen CO2 pro Jahr reduzieren. Durch die Verlagerung von Auto- und Flugreisen auf das Hochgeschwindigkeitsbahnsystem von Brightline West sollen jährlich mehr als 700 Millionen Fahrzeugkilometer und 16.000 Kurzstreckenflüge eingespart werden.

Der Golden State kommt auf die Schiene

Brightline will die Strecke noch vor den Olympischen Spielen 2028 in Los Angeles fertigstellen. Damit überholt das Privatunternehmen ein bereits deutlich länger geplantes staatliches Projekt: California High-Speed Rail.

So könnte der neue Hochgeschwindigkeitszug durch Kalifornien fahren Foto: © California High-Speed Rail Authority

Dieses ambitionierte Bauvorhaben ist bereits seit 2008 in der Entstehung, leidet aber seit Anbeginn unter Verzögerungen. Die über 800 Kilometer lange Hochgeschwindigkeitsstrecke soll San Francisco mit Los Angeles verbinden und kann optional bis nach Sacramento und San Diego erweitert werden. Zunächst wird jedoch erst ein Teilstück gebaut, nämlich der 275 km lange Kernabschnitt Merced-Fresno-Bakersfield.  Es steht zu hoffen, dass Bidens Infrastrukturpaket dieses zwischenzeitlich totgesagte Projekt zum Laufen bringt – wenn auch zunächst unter Zuhilfenahme von Bestandsstrecken als einspurige Schnellfahrstrecke. Erst auf der Neubaustrecke würde die  Höchstgeschwindigkeit bei rund 350 km/h liegen.

Das Comeback der Eisenbahn in Nordamerika: Können die USA zum Bahnland werden?

Tatsächlich: Durch den zunehmenden Fokus auf nachhaltige und umweltfreundliche Transportmethoden könnte die Eisenbahn eine Renaissance in Nordamerika erleben. Die Regierung unter Biden hat das Potenzial klar erkannt und entsprechend gehandelt. Dennoch:  Herausforderungen gibt es noch ausreichend. Um sie zu bewältigen, erfordert es eine sorgfältige Planung, Kooperation zwischen verschiedenen Interessengruppen und eine langfristige Verpflichtung zur Förderung des Schienenverkehrs und seiner Infrastruktur. Nicht zuletzt muss die Bevölkerung bereit für den Umstieg auf die Schiene sein, und zwar auch auf klassischen Autostrecken. Hier macht der Start der Brightline-Verbindung zwischen Orlando und Miami Mut:

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