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Allgemein, Technologie

Schneller, grüner, moderner: Die Zukunft der indischen Eisenbahn

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Susanne Stock

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In einem Land mit über 1,4  Milliarden Einwohnern spielt der Schienenverkehr eine entscheidende Rolle für Mobilität und Wirtschaft. Indiens Eisenbahnnetz, eines der größten weltweit, steht vor gewaltigen Herausforderungen und Chancen. Mit umfangreichen Modernisierungsprojekten und der Einführung von Hochgeschwindigkeitsstrecken zeigt der Subkontinent sein Bestreben, die Bahn als zukunftsfähiges und umweltfreundliches Verkehrsmittel zu etablieren. Wir verfolgen den Weg der indischen Eisenbahn von der Kolonialzeit zur Moderne.

Die Geburtsstunde der indischen Eisenbahn

Die Geschichte der indischen Eisenbahn ist eng mit der britischen Kolonialherrschaft verwoben. Am 18. November 1852 rollte der erste Zug von (damals noch) Bombay nach Thane – ein Meilenstein für den gesamten asiatischen Kontinent. In den folgenden Jahrzehnten expandierte das Schienennetz rasant: Bereits 1901 erstreckte es sich über 35.000 km, 1930 waren es schon 52.000 km. Schätzungsweise 15 Millionen Menschen fuhren schon damals täglich mit der Bahn, die alle bedeutenden Städte verband. 

Technische Innovationen hielten früh Einzug: 1925 begann die Elektrifizierung, wobei mit den in der Schweiz entwickelten Elektrolokomotiven EA/1 und EF/1 die damals schnellsten der Welt zum Einsatz kamen. Sie erreichten eine Höchstgeschwindigkeit von 137 km/h. 

Dennoch blieb die Dampflok noch lange das Rückgrat des indischen Schienenverkehrs. Noch in den 1980er Jahren schnauften über 4.000 Dampflokomotiven durch das Land, bevor sie in den 1990er Jahren endgültig ausgemustert wurden.

Fakten und Zahlen zum indischen Eisenbahnnetz

Heute ist das indische Schienennetz mit rund 68.000 Kilometern das viertgrößte der Welt. Jährlich befördern die Züge etwa 8 Milliarden Passagiere in knapp 13.000 Zügen am Tag – eine logistische Meisterleistung der staatlichen Indian Railways.

Das Frachtvolumen konnte in den letzten fünf Jahren um fast ein Drittel auf 1,5 Milliarden Tonnen zulegen. Die Bahn spielt eine Schlüsselrolle beim Transport von Kohle, Dünger, Zement oder Getreide: Rund ein Drittel des gesamten Güterverkehrs läuft auf der Schiene. Bis 2030 soll es auf 3 Milliarden Tonnen steigen.

Das „Goldene Viereck“ zwischen den Metropolen New Delhi, Kolkata, Chennai und Mumbai bildet das Herzstück des Netzes. Auf nur 16 Prozent der Gesamtstreckenlänge werden hier 50 Prozent des Personenverkehrs und 66 Prozent des Güterverkehrs abgewickelt. 

Doch der Erfolg hat seinen Preis: Viele Strecken sind überlastet, die Durchschnittsgeschwindigkeit der Züge sinkt.  Ausbau und Modernisierung der Bahninfrastruktur wurden jahrzehntelang vernachlässigt.

Um für die Zukunft gerüstet zu sein, investiert Indien massiv in die Modernisierung seiner Bahninfrastruktur. Allein im Haushaltsjahr 2024/2025 stehen dafür umgerechnet fast 31 Milliarden US-Dollar zur Verfügung. Gut ein Drittel davon ist für Investitionen in den Ausbau und die Modernisierung des Schienennetzes vorgesehen.

Für die folgenden Jahre bis 2030 sieht der „National Railway Plan“ des Ministry of Railways (MoR) einen jährlichen Investitionsbedarf von umgerechnet 23 Milliarden US-Dollar (US$) vor. Damit sollen mehr als 2.000 Eisenbahninfrastrukturprojekte bewältigt werden.

Volle Fahrt voraus: Neue Schienenkorridore für effizientere Verbindungen

Die indische Regierung hat ambitionierte Pläne: Bis 2034 sollen sieben Hauptstrecken zwischen den größten Ballungszentren auf zwei bis vier Gleise erweitert werden. Kostenpunkt: 50 Milliarden US-Dollar. Zusätzlich sind drei neue Schienenfrachtkorridore geplant, die bis 2030 fertiggestellt werden sollen. Sie sollen den Güterverkehr auf der Schiene bis 2030 verdoppeln.

Um diese Ziele zu erreichen, will Indien den jährlichen Streckenausbau bis 2028 auf 10.000 Kilometer verdoppeln – eine gewaltige Herausforderung für Ingenieure und Bauunternehmen.

Die erste Hochgeschwindigkeitssstrecke Indiens: Der Mumbai-Ahmedabad High Speed Rail Corridor

Indiens Einstieg in die Welt der Hochgeschwindigkeitszüge nimmt konkrete Formen an: Der Mumbai-Ahmedabad High Speed Rail Corridor (MAHSR) soll ab 2028 die beiden Wirtschaftsmetropolen in nur zwei Stunden verbinden. Auf der 510 km langen Strecke werden japanische Shinkansen-Züge aus der E-Serie mit bis zu 320 km/h unterwegs sein.

Das umgerechnet ca. 17 Milliarden US-Dollar teure Projekt stellt die Ingenieure vor besondere Herausforderungen: Um das empfindliche Ökosystem des Thane Creek in Mumbai nicht zu stören, werden die Gleise dort unter Wasser verlegt. Dieser Tunnel wird der längste Eisenbahn-  und der erste Unterwassertunnel Indiens sein. 

Außerdem wird der Hochgeschwindigkeitskorridor in seismisch aktiven Regionen  mit einem modernen Erdbeben-Frühwarnsystem ausgestattet, das automatisch den Strom abschaltet, sobald Primärwellen erkannt werden.  Die Wahl fiel unter anderem auch aus Sicherheitsgründen auf die japanische Shinkansen-Technologie. Das System wird mit dem fortschrittlichsten DS-ATC-System zur Vermeidung von Zusammenstößen, einer automatischen Bremsung im Falle einer Geschwindigkeitsüberschreitung usw. ausgestattet.

Der MAHSR ist erst der Anfang: Insgesamt plant Indien elf Hochgeschwindigkeitskorridore, um das Land fit für die Zukunft zu machen. Vivek Kumar Gupta, Managing Director der National High Speed Rail Corp. Ltd (NHSRCL), betont im Interview mit Infrastructure Today, dass seine Crew in jeglicher Hinsicht gut gerüstet für die Arbeit an weiteren Korridoren sei. 

Modernisierung mit Hochdruck: Neue Züge für Indien

Indian Railways investiert kräftig in neue Fahrzeuge: Bis zu 8.000 moderne Semi-High-Speed-Lokomotiven sollen in den nächsten Jahren die veraltete Flotte ersetzen. Dabei setzen die Planer vor allem auf die einheimischen Baureihen „Vande Bharat“ und „Amrit Bharat“. Gleichzeitig werden 40.000 alte Waggons modernisiert. Die Brems- und Eingangssysteme sowie Sanitärsysteme dafür kommen von Knorr-Bremse.

Auch im Güterverkehr rüstet Indien auf: 1.200 neue Elektrolokomotiven von Siemens Mobility sollen künftig Lasten von bis zu 4.500 Tonnen befördern. Dabei handelt es sich um den größten Lokomotivenauftrag in der Geschichte von Siemens Mobility, der neben dem Bau auch die Wartungs- und Instandhaltungsdienstleistungen für einen Zeitraum von 35 Jahren beinhaltet. Montage und Wartung der Lokomotiven werden in Zusammenarbeit mit den Mitarbeitenden von Indian Railways durchgeführt.

Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung: Deutschlands Beitrag zur indischen Eisenbahn

Die Aufträge an Knorr-Bremse und Siemens sind nicht die einzige Stelle, an der Deutschland sich aktiv in die Entwicklung der Bahn in Indien einbringt. Im Zuge der im Mai 2022 geschlossenen Partnerschaft für grüne und nachhaltige Unterstützung  wird die deutsche Bundesregierung bis 2030 10 Milliarden Euro in umweltfreundliche Verkehrsprojekte investieren. Die KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) stellt Kredite zur Verfügung, beispielsweise für die Finanzierung des Neubaus eines S-Bahnsystems in der drittgrößten indischen Stadt Bengaluru

Auch die Deutsche Bahn ist auf dem Subkontinent aktiv. Ihre Tochterfirma Deutsche Bahn International Operations übernimmt den Betrieb und die Instandhaltung des ersten regionalen Schnellbahnsystems (Regional Rapid Transit System/RRTS). Es verbindet die Metropolen Delhi, Ghaziabad und Meerut. Das Auftragsvolumen des über 12 Jahre laufenden Vertrages liegt im dreistelligen Millionenbereich. Zu den Aktivitäten der DB IO gehört außerdem die Ausbildung der Triebfahrzeugführer und des Stationspersonals sowie die Organisation der Werkstätten.

Grüne Revolution auf der Schiene: Indiens Bahn will klimaneutral werden

Ein ehrgeiziges Ziel: Bis 2030 will die indische Eisenbahn klimaneutral sein. Ende 2023 waren bereits 95 Prozent des Breitspurnetzes elektrifiziert, der Rest soll 2024 folgen. Um den steigenden Strombedarf zu decken, setzt Indian Railways verstärkt auf erneuerbare Energien. Solardächer auf Bahnhöfen sind erst der Anfang – weitere 2.000 Megawatt an Solar- und Windkraftanlagen sind in Planung.

Besonders spannend: 35 Züge mit Wasserstoffantrieb sind in Planung – ein weiterer Schritt in Richtung klimaneutraler Mobilität.

Schiene vs. Flugzeug: Warum der Weg in Indien nicht an der Bahn vorbeigehen darf

Die Bahn ist allerdings nicht das einzige Verkehrsmittel, das grundlegend ausgebaut wird. Auch in den Flugverkehr wird massiv investiert. Die indische Regierung plant bis 2026 Investitionen in Höhe von 1,83 Mrd. USD für den Ausbau der Flughafeninfrastruktur sowie für Flugsicherungsdienste.

Dabei wird durchaus darüber debattiert, was der beste Weg für ein Land dieser Größe und Anzahl der Reisenden und Güter ist – auch vor dem Hintergrund der Kosten, denn der Bau neuer Flughäfen oder Landebahnen sei deutlich günstiger als die Erschließung einer neuen Bahnstrecke. 

Doch tatsächlich: Für Indien führt kein Weg an der Schiene vorbei, wie die indische Journalistin V Bhagya Subhashini in ihrem Artikel im Swarajya Magazin beschreibt. 

Hochgeschwindigkeitszüge bieten gegenüber dem Flugzeug entscheidende Vorteile: Sie verbinden nicht nur Metropolen, sondern erschließen auch kleinere Städte entlang der Strecke. Außerdem wird die Kapazität der bestehenden Bahnstrecken erhöht  und der Komfort sowie die Sicherheit der Passagiere verbessert.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Umweltschutz. Diese Züge nutzen einheimische Elektrizität, wodurch die Abhängigkeit von importierten Kraftstoffen sinkt und die Treibhausgasemissionen reduziert werden. Außerdem verringern sie die Überlastung der Flughäfen, indem Kurzstreckenflüge reduziert und Platz für längere Flüge geschaffen werden.

Auch die Ökonomie profitiert vom Ausbau der Bahninfrastrukturen. Subhashini beruft sich dabei auf Erfahrungen aus China und Europa, die zeigen: Hochgeschwindigkeitszüge können die Wirtschaft ganzer Regionen ankurbeln. Städte an Hochgeschwindigkeitsstrecken verzeichnen ein um 2,7 Prozent höheres BIP-Wachstum als nicht angebundene Orte.

Indiens Schienenvision: Schlüssel zur nachhaltigen Mobilität

Die aktuellen Modernisierungsprojekte und die Einführung von Hochgeschwindigkeitsstrecken wie dem Mumbai-Ahmedabad-Korridor zeigen: Indien hat erkannt, dass der Ausbau der Eisenbahn nicht nur logistische Vorteile hat. Er trägt auch maßgeblich zur wirtschaftlichen Entwicklung und zum Klimaschutz bei. Indiens Engagement für eine moderne und nachhaltige Bahn wird entscheidend sein, um die Mobilitätsbedürfnisse einer wachsenden Bevölkerung zu erfüllen und gleichzeitig globale Umweltziele zu erreichen.

Indiens Investitionen in die Schiene sind mehr als nur Infrastrukturprojekte – sie sind der Schlüssel zu nachhaltiger Mobilität und wirtschaftlichem Wachstum auf dem Subkontinent.